1958, während der Wiener Messe, stellte SGP einen neuen Prototyp für dieselhydraulische Lokomotiven auf schmaler Spur vor: die spätere Baureihe 2095. Getestet wurde sie auf der Mariazellerbahn und deren Zweig nach Gresten. Die damals leistungsstärkste Diesellok auf schmaler Spur bewährte sich – es wird von einer Spitzengeschwindigkeit von 72 km/h bei den Testfahrten berichtet. Weitere Tests wurden auf der 35 km langen Strecke der Bregenzerwaldbahn durchgeführt.
Im täglichen Fahrbetrieb bewährten sich die Lokomotiven der Baureihe 2095 in den folgenden Jahrzehnten auch auf der Bregenzerwaldbahn. Zahlreiche Menschen brachten sie an ihre Reiseziele: Touristen in den Urlaub und zu Ausflügen, Pendler zu ihren Arbeitsplätzen und Kinder in ihre Schulen (so manche Hausarbeit soll dabei noch fertiggestellt worden sein). Nicht zu sprechen von den Gütermengen für Handel und Gewerbe.
Schon im ersten Jahrzehnt hat diese Baureihe in Vorarlberg einiges erlebt: einen Raubüberfall auf den Postwaggon und den dramatischen Absturz der 2095.05 in die Bregenzer Ache. Aber auch die Erhebung von Bezau zur Marktgemeinde und die letzte Seegfrörne (das Zufrieren des Bodensees).
2019, während der Handwerksausstellung in Bezau, sechzig Jahre nach dem Start der Baureihe 2095, schließt das Wälderbähnle die Restaurierung seiner Garnitur aus dieser Epoche mit der charakteristischen Lackierung der Spantenwagen ab. Der Zug fährt also wieder so wie einst. Im „Original-Outfit“ der wilden 60er-Jahre: die 2095.13 mit ihrer Garnitur aus tannengrünen vierachsigen Spantenwagen.
Die „wilden“ 60er-Jahre! Erinnern Sie sich noch?
Wir erlebten den Schritt vom Propeller zum Düsentriebwerk und den beginnenden Wettlauf ins All. Überschattet vom kalten Krieg und der Errichtung eines Eisernen Vorhanges, vor dem Hintergrund der brandgefährlichen Kubakrise und einem Stellvertreterkrieg in Vietnam.
Die Technik entwickelte sich rasant: Der Transistor wurde erfunden und erlaubte den nächsten Schritt hin zur Regelungstechnik von heute. Technische Errungenschaft bei den Verbrennungsmotoren: der Wankelmotor. Und weil der Bregenzerwald im Umfeld der Museumsbahn ein Eldorado für Paragleiter ist: Auch das Patent für den dabei verwendeten matratzenförmigen Gleitschirm geht auf die 60er-Jahre zurück.
Nach dem Wiederaufbau schufen sich die Menschen in Europa im Alltag ihren ersten kleinen Wohlstand: Mit einfachen Fernsehapparaten und Waschmaschinen. Mit Motorrollern und Kleinwagen (wie das Goggomobil oder die BMW-Isetta). Und während Winnetou über die Leinwand in den Sonnenuntergang ritt und Freddy Quinn von der Heimat sang, drehte die Jugend ihre Ohren in Richtung Beatles, Rolling Stones, Jimmy Hendrix, Beach Boys und vielen anderen mehr. Die neuen Töne kamen über Schallplatten oder aus Transistorradios, die ebenfalls zu dieser Zeit die Haushalte eroberten (auch Ö3 wurde in den 60er-Jahren gegründet). In Vorarlberg, wo die Textilindustrie boomte und eine eigenwillige Architektur ihre ersten Schritte versuchte, war zu Beginn dieser Zeit das Tragen von Bikinis und das Twist-Tanzen noch verboten.
Und unter den Weihnachtsbäumen, wo anfangs noch Blechspielzeug zum Anschieben oder Aufziehen lag, tauchten zunehmend elektrische Modelleisenbahnen auf. Ein Traum für alle Eisenbahnfreunde!
A propos Eisenbahn: Nachdem die größten Kriegsschäden beseitigt waren, wendeten sich die Eisenbahnen in den 60er-Jahren wieder technischen Neuerungen zu.
Der Umstieg von den hölzernen Waggonaufbauten auf Spantenwagen mit Metallrahmen wurde bereits in den 1950er-Jahren begonnen, nachdem bei einem schweren Zugunglück die Zerstörung eines Wagens mit hölzernem Kasten aus dem Jahr 1907 über 20 Todesopfer gefordert hatte, und wurde auch in den 60ern kontinuierlich fortgesetzt. Diese sogenannten Spantenwagen standen vereinzelt noch bis in die 1990er Jahre in Verwendung. Die heute bei der Museumsbahn im Einsatz befindlichen grünen vierachsigen Spantenwagen sind Denkmale dieser Entwicklung.
Die Modernisierung betraf hauptsächlich die zunehmende Elektrifizierung (vor allem auf den Hauptstrecken) und die Konstruktion neuer Dieselfahrzeuge. Auf den Hauptstrecken der DB erreichte der E03 Geschwindigkeiten von bis zu 200 km/h, die ÖBB brachten ihrerseits als Flaggschiff den "Transalpin" auf die Strecke von Wien nach Basel.
Das Ende der Ära der Dampfloks war eingeleitet. Für diese Modernisierung bestellten die ÖBB schon Anfang der 60er Jahre eine größere Anzahl von Diesellokomotiven. Den Auftrag teilten sich die Jenbacher Werke (Baureihe 2043) und SGP (Baureihe 2143).
Für die Schmalspur-Nebenbahnen wurde für die 60er-Jahre ebenfalls eine neue und leistungsstarke Lokomotive entwickelt: Die Baureihe 2095. Schon im Jahr 1958 wurde die 2095.01 auf der Wiener Herbstmesse vorgestellt. Aber das wissen wir ja schon vom Beginn dieses Artikels. Da capo al fine...
Bezau, 21. Mai 2019